Tatort am 31. Oktober Der letzte Patient – Charlotte Lindholm nimmt Abschied
Unfreiwillige Abschiede verstören uns, und auch Tatort-Kommissarin Charlotte Lindholm, oft als unterkühlt bezeichnet, ist nicht davor gefeit. Martin, ihr langjähriger Mitbewohner, bester Freund und engster Vertrauter, verlässt sie in einer Nacht und Nebel-Aktion. Damit beginnt der NDR-Tatort „Der letzte Patient“, der es wie kaum ein anderer Tatort in den letzten Jahren versteht, Beklemmung zu vermitteln und dadurch auch Mitbetroffenheit zu erzeugen.
Es geht um Abschied, und die Verwirrung, die ein solcher Abschied auslöst bei jemandem, der sich nicht darauf vorbereiten konnte. Es geht um sexuellen Missbrauch und um die Abgründe von Schmerz und Alleinsein – und mit der ganzen Mischung der Betroffenheit, die dieser Film auslöst, wird aus einem Krimi ein Film, der aufhorchen lassen sollte.
Wenn Charlotte Lindholm dann bei einer Befragung ziellos durch eine Wohnung läuft, während ihre Kollegin lieber in einem unbequemen Sessel Platz genommen hat, und der Fußboden leicht knarrt, während Charlotte sich von einem Ende des Zimmers in das andere Ende bewegt, merkt man, der Tatort ist mitten im Leben angekommen. Während bei anderen Krimis nur allzu gerne nachsynchronisiert wird, wird hier der knarrende Fußboden zu einem Synonym für den Weg, den die LKA-Beamtin in ihrem persönlichen wie beruflichen Leben zu gehen hat. Es bleibt nicht spurlos, dass Martin sie verlassen hat. Es bleibt nicht spurlos, dass ihr durcheinander geratenes privates Leben sie belastet und irgendwann auch Auswirkungen hat auf ihre Arbeit.
Aber es ist ein Tatort, wie ihn sich die Tatort-Fans wohl wünschen: Eine Steigerung zu den bisherigen Fällen. Vielleicht wird Charlotte Lindholm in ihrem 17. Tatort auf eine gewisse Art und Weise erwachsen. Martin verschwindet und hinterlässt nur einen Brief, telefoniert mal mit der Mutter, ist aber sonst aus Charlottes Welt entschwunden und wird zu einer Mailbox, von der niemand weiß, ob sie überhaupt abgehört wird. Doch wie groß die Belastung auch ist, die nun für die Kommissarin entsteht, es tut dem Lindholm-Tatort gut, dass sich die Welt jetzt nur noch um Charlotte selbst, ihren Beruf und ihr eigenes Leben dreht. Ingo Naujoks-Fans werden es mir übelnehmen, aber der Weggang des Schauspielers, der seine Rolle nur noch „aufs Babysitten und Frühstückmachen reduziert“ sah, tut dem „Letzten Patienten“ keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil.
Der Abschied wurde von Astrid Paprotta in einem Drehbuch verarbeitet, das den Weggang von Martin nicht nur bestens löst, sondern das auch sonst rund ist. Für zukünftige Tatorte wünsche ich mir weiterhin so gute Drehbücher. Regie bei „Der letzte Patient“ führte Friedemann Fromm. Überhaupt ist vieles so stimmig und auf den Punkt gebracht bei diesem Tatort aus dem Hause des NDR, der im hannöverschen Stadtteil Döhren spielt. Ich glaube, besser hätten die einzelnen Rollen nicht besetzt werden können.
Ein Tatort, der mehr als ein üblicher Tatort ist, und dem ich deshalb auch viele Zuschauer wünsche, die sonst nicht einschalten, wenn Sonntags um 20.15 die typische Tatort-Musik erklingt.
ARD/NDR TATORT, „Der letzte Patient“, am Sonntag 31.Oktober um 20:15 Uhr im ERSTEN.
Foto: Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) © NDR/Marc Meyerbröker
Super! Ich glaube, besser kann man das Gewicht, den Schwerpunkt dieses Tatorts nicht auf den Punkt bringen. 😀