Von Boxautos und der Freiheit, großen Träumen, Janina Uhse und was eigentlich BeKoSch ist
Manchmal gibt es Zeiten, da muss ich innehalten in meinem viel zu vollgepackten Alltag, weil mir ein Mensch, ein Gedanke, ein verlorener Traum oder ein altes/neues Vorurteil begegnet. In diesen Tagen kam es wieder zu einem solchen Innehalten, durch eine Begegnung, bei der mir erst hinterher bewusst wurde, dass sie mich nachdenklich machen würde.
Eigentlich bin ich Profi, und wenn ich arbeite, dann arbeite ich und lasse meine Gefühle und was mich sonst beschäftigt, zuhause und nehme es nicht mit in meinen Arbeitsalltag und die verschiedenen arbeitsbedingten Begegnungen, die auch in den meisten Fällen auf rein beruflicher Ebene stattfinden. Das macht es leichter, Dinge aus einer einigermaßen objektiven Sicht zu betrachten und zudem meine Schüchternheit zu überwinden.
Jedes Boxauto hat vielleicht seine ganz eigene Geschichte
Letzte Woche Donnerstag wurde all das dann jedoch durchbrochen, im Nachhinein, wie ich heute Vormittag plötzlich merkte. Denn Boxautos sind nicht einfach nur Boxautos, sie sind auch ein Teil meiner Geschichte, meiner Suche nach der Freiheit aus einem miefigen und vor allem alle Träume fast zerstörenden Kleinstadtleben.
Boxautos? Wieso Boxautos?, mag sich der oder die jetzt fragen, die bis hierhin weitergelesen und es nicht gleich aufgegeben hat, zu lesen, was manchmal neben allem, was den Alltag bestimmt, auch wichtig ist.
Doch eine gedankliche Rolle rückwärts bringt mich zurück zum Donnerstag. Pressegespräch bei Continental in Hannover, Vorstellung einer aktuellen Studie der Verkehrswachtstiftung Niedersachsen. Ein angenehmer Pressetermin, über den ich schreiben wollte, und ich hätte nicht gedacht, dass er mich wenige Tage später völlig nachdenklich stimmen würde.
Zum Pressegespräch waren nämlich zwei Promis eingeladen. Huch, Du und Promis? Wer mich wirklich kennt, der weiß, dass mir eigentlich so ziemlich egal ist, ob jemand prominent ist oder nicht. Mir kommt es auf andere Dinge an, und nicht darauf, wie bekannt jemand ist. Für mich zählt der Mensch – und seine Authentizität.
Und genau hier kommen plötzlich die Boxautos in Spiel in Form eines Promis, dessen Rollenfigur mir total unsympathisch ist, der mir aber im realen Leben sehr sympathisch rüberkommt. Nein, die Rede ist nicht von Peter Kraus, der auch beim Pressegespräch dabei war. Peter Kraus fährt Oldtimer, kein Boxautos.
GZSZ und alles Schickimicki oder was?
Die Rede ist von Janina Uhse. Wer das ist? Ich sage nur: GZSZ. GZSZ? Na „Gute Zeiten Schlechten Zeiten“. Die RTL-Serie, die lange angeblich keiner schaute. Doch wie war das noch mal? Die BILD, nee, die lese ich NIE, und dann liegt sie irgendwo rum und man wirft eben doch einen Blick hinein. GZSZ gehört inzwischen, wie die besagte Zeitung auch, obwohl das eine jetzt gar nichts mit dem anderen zu tun hat, zum Alltag unseres Landes dazu. Seit 2007, mit Erstausstrahlung im Januar 2008, ist Janina Uhse bei dieser Serie mit an Bord. Und zahlreiche Fans hat GZSZ inzwischen sowieso.
Wer Janina in dieser Serie über den Bildschirm flimmern sieht, könnte meinen, sie habe nie etwas Anderes gemacht als eine unsympathische Schickimicki-Tussi zu sein, wie ihre Rollenfigur zumindest bei mir ankommt. Aber das wirklich Spannende ist ja immer, dass hinter so mancher Rollenfassade ein authentischer Mensch steht, der dazu auch noch seine ganz eigene Geschichte hat, die andere Menschen wie mich dann doch berührt – und sehr zum Nachdenken bringt.
Denn Janina Uhse stammt aus einer Welt, die für viele Leute auch heute noch immer noch eine Welt abseits der Norm ist. Schausteller! Welch böses Wort für so manchen, der nie begriffen hat, wie wichtig es ist, über den Tellerrand seines eigenen kleinen Lebens zu schauen.
Das GZSZ-Promidinner und eine ungewöhnliche Spende
Dass sie aus einer Schausteller-Familie kommt, habe ich erst am Wochenende gelesen. Dank VoxNow ist es auch möglich, Wiederholungen von Sendungen zu sehen, die man, wie ich in diesem Falle, absichtlich verpasst hatte. Zugegebenermaßen schaue ich manchmal Promi-Dinner an. Manchmal als Spaßfaktor, manchmal weil ich Essen etwas sehr Wichtiges finde und Kochen nun mal eine wirklich spannende Sache sein kann. Aber die GZSZ-Promidinner-Folge hatte ich bewusst verpasst. Warum? Weil ich mit dieser Serie ungefähr so viel anfangen kann, wie mit Kaffee mit Zucker, das geht echt nur in Ausnahmefällen. Nicht, weil es da nicht dann und wann sogar richtige gute Schauspieler gäbe, aber zum Abschalten ziehe ich ein anderes Fernseh- oder Filmprogramm vor.
Aber manchmal führen kurze Begegnungen eben auch dazu, dass die Neugier wächst und der eigene Tellerrand plötzlich erinnert wird an Zeiten, in denen das eigene Leben noch ganz anders war. Und genau das Janina bewirkt – mit ihrem Spendenzweck für den Gewinn des Promi-Dinners.
Doch was ist eigentlich BeKoSch?
Ich hatte vor dem Anschauen der Folge von der Spende gelesen an den BeKoSch, doch ich hab mich dann gefragt, häh, wieso ein Berufsschulkurs, was ist das denn für eine blöde Spende. Doch ich wurde dann eines Besseren belehrt und fand das mit der Spende doch dann richtig cool. Denn der BeKoSch ist nicht nur irgendein Berufsschulkurs, sondern wird gezielt für junge Schaustellerinnen und Schausteller angeboten.
Für was brauchen Schausteller nun denn einen solchen Kurs, mag sich nun mancher fragen, der noch nie den Blick über den eigenen Tellerrand wagte. Eine der Antworten darauf kenne ich aus meiner eigenen Kindheit und Jugend…
Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen, für mich die meiste Zeit nur der Vorhof der Hölle. Durch meine Familie und verstörende Erlebnisse in meiner frühen Kindheit war ich bereits im Kindergarten die Außenseiterin, die immer das perfekte Opfer für Mobbing-Attacken war, lange bevor es dieses Wort in unserem Sprachschatz überhaupt gab. In der Grundschule ging es dann weiter, und ich stand genauso abseits wie die Kinder, die alle paar Monate in unserer Schule zu Gast waren, Kinder aus Zirkusfamilien und Kinder aus Schaustellerfamilien. Oftmals wurde ihnen mangelnde Intelligenz bescheinigt, weil sie mit dem Lernstoff hintendran waren, oder sie einfach als faul hingestellt wurden, egal, wie intelligent und wissbegierig sie wirklich waren. Die Schule in der ich war, entsprach sehr dem Mikrokosmos Kleinstadt, dem ich damals so gerne entflohen wäre.
Während sich die Masse von den Zirkusleuten und den Schaustellern unterhalten und belustigen ließen, lehnten sie jedoch genau die gleichen Menschen, und vor allem ihre Kinder, ab. Eine Doppelmoral, wie ich sie leider viel zu früh kennenlernen musste.
Ich hingegen freundete mich mit einem Mädchen an, das alle paar Monate mit ihrem Familienzirkus in unserer Kleinstadt war. Dies bescherte mir die Freude, hinter die Kulissen des Zirkus schauen zu dürfen – und mein Herz brach jedes Mal ein Stück mehr, wenn sie dann wieder fuhr und ich wieder alleine war.
Dann begannen die Zeiten, in denen ich mit irgendwelchen Leuten auf dem Rummel rumhing, wie der Jahrmarkt bei uns immer genannt wurde. Beliebtes Ziel waren dabei immer die Boxautos, bei denen ich irgendwann eine der Lautesten und Auffälligsten war – ganz viel Alkohol macht´s möglich, aber er verändert nicht dein Herz. Deshalb war jeder Rummel, ob im Frühjahr oder im Herbst, auch geprägt von der Hoffnung, eines Tages würde ich mitreisen dürfen, raus aus diesem kleinstädtischen Vorhof der Hölle. Immer aber stand auf den Schildern, auf denen Jobs angeboten wurden, nur: Junger Mann zum Mitreisen gesucht.
Immer aber musste ich bleiben und die Jahre gingen ins Land, in denen ich gröhlend und trinkend, und manchmal auch die Tränen herunterschluckend, bei den Boxautos stand…
Wir alle sind Reisende…
In den vergangenen Jahren habe ich dann immer, wenn ich auf einem Jahrmarkt war und an den Boxautos vorbeikam, einen Stich im Herzen gespürt. Etwas in mir wurde immer noch berührt, aber erst jetzt wurde mir klar, dass es immer noch das alte Gefühl von damals ist, zurückbleiben zu müssen – und immer noch nicht verstehen zu können, wieso Menschen von anderen als Außenseiter behandelt werden, nur weil sie ein anderes Leben und eine andere Geschichte haben. Wir alle sind Reisende, manche bei ihrer Arbeit, wie die Schausteller und die Menschen vom Zirkus, andere nur in ihren oft verdrängten Träumen.
Ich habe meine eigene Reise eines Tages begonnen. Bin fernab der Kleinstadt gezogen, in der ich auch Jahre, nachdem ich längst nicht mehr trank, immer noch als der Abschaum betrachtet wurde. Da ist mir endgültig bewusst geworden, dass ich dort immer nur anders sein würde und nahm meinen so ganz eigenen Abschied. Im Februar 1999 betrat ich das letzte Mal diesen Ort, und habe nicht vor, noch einmal dort einen Fuß hineinzusetzen. Nicht, weil ich nicht könnte, sondern weil ich weiß, dass ich dort ebenso fehl am Platze war wie die Kinder aus Zirkusfamilien und Schaustellerfamilien, die dort immer als Makel und Abschaum betrachtet wurden. Dabei ist all dies doch, und das sollte sich der so Denkende einfach mal bewusst machen, nichts als der pure Neid.
Auch ich war dort nur der Abschaum, und kaum einer hätte wohl einen Pfifferling dafür gegeben, dass ich viele Jahre später immer noch lebe. Und schon gar nicht wäre jemand auf die Idee gekommen, dass der Traum des kleinen Mädchens, das mit 12 Jahren traurig durch die Gegend irrte und deren einzige Freundin ein Zirkusmädchen war, sich viele Jahre später erfüllen könnte. Inzwischen lebe ich seit fast drei Jahren hauptberuflich vom Schreiben, und ich liebe meine Arbeit. Und wenn mir meine Arbeit dann auch noch eine Begegnung beschert, die mich daran erinnert, wie wichtig es ist, niemals zu vergessen, wie wichtig die Offenheit gegenüber anderen Menschen ist, dann habe ich zwar immer noch nicht das Geld, um mir meinen fetten Traum-Audi zu kaufen, aber ich habe etwas, das mit keinem Geld der Welt zu bezahlen ist: Glück.
Genau deshalb ist es auch so wichtig, neugierig auf andere Menschen und ihre Geschichten zu sein und es auch zu bleiben. Weil nur zu oft verpassen wir dadurch etwas, was unser Leben bereichert und uns wachhält für die Dinge, die wirklich wichtig sind.
Und vielleicht wird es dann eines Tages nicht mehr heißen: DIE sind schon wieder in der Schule, sondern: Wow, wir haben Schausteller in der Klasse. Und: Weißt Du noch, die Janina Uhse, die kommt auch aus so einer Familie. Hey, und die ist richtig berühmt geworden. Und stellen sich dann gegen die, welche mit den alten Vorurteilen anfangen wollen. Denn wir leben in einer Welt, die groß genug ist für uns alle, wenn wir erst begreifen, dass sie nicht an unserem eigenen Tellerrand endet.
Christel Weiher, Redaktionsleiterin www.autonews-123.de
P.S.: Nein, ich habe dies nicht aufgeschrieben, weil ich so gerne im Mittelpunkt stehen möchte. Mein Platz ist hinter der Kamera, nicht mitten im Scheinwerferlicht. Ich zucke immer noch zusammen, wenn ich sehe, dass jemand mich googelt, weil ich manchmal glaube, ich träume all das nur und irgendjemand hat wieder etwas Böses im Sinn. Aber ich habe erlebt, dass es die wahren Geschichten der Menschen sind, die ein Leben verändern können – und zum Nachdenken anregen. Hätte es nicht die Geschichten solcher Menschen gegeben, wäre ich heute nicht mehr am Leben…
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